Ego- Alarm der Extraklasse. Sind wir echt alle solche Egozentriker??? Gestern auf meinen Terminplaner stand ein Friseurbesuch. Es soll ja Frauen geben, die jetzt „ja“ und „oh toll“ schreien. Solche fast mystischen Wesen, die derartige Termine gern und häufig als Entspannungsprogramm buchen. Ich gehöre nicht dazu! Friseur ist ein leidiger Pflichttermin! Für alle, die jetzt ganz spontan unter Schnappatmung leiden: langsam und gleichmäßig durch die Nase ein und anschließend durch den Mund ausatmen. Gehts wieder? Dann weiter. Ja, mir ist bewusst, ich brauche da nicht hingehen, wenn ich nicht will. Aber ich muss! Ich stehe auf freche Kurzhaarschnitte. Und gehe ich nicht regelmäßig, sehe ich schnell aus, wie der Wolf um die – piep- Kronjuwelen. Trotz Homeoffice ist das natürlich keine echte Option. Manchmal muss selbst ich auf die Strasse. Und nein, lange Haare sind keine Alternative! Ich mache übrigens meine neuen Termine immer gleich am Ende des Besuches. Kneifen gilt nämlich nicht. Auch wenns darum heute hier nicht geht, ich mag meine Friseurin! Sie ist toll! Ich geh immer zu ihr. Sie hat echt was drauf und dafür zahl ich auch gern einbisschen mehr. Das ist gar nicht das Thema. Wobei man hier erwähnen muss, dass ein Friseurbesuch inzwischen mit über 60 Euro zu Buche schlägt und das durchaus für Manchen ein Thema ist. Andererseits sollen natürlich auch all die Friseure für ihre Arbeit entsprechend bezahlt werden und Mindestlohn ist echt das Mindeste! Zurück zu mir. Denn das Thema für mich ist der kolosale Zeitverlust. Ich arbeite im neudeutschen Home- Office. Ich habe eine große Familie. Das heißt, in Ruhe arbeiten kann ich nur vormittags, wenn alle Anderen ausser Haus sind. Für die, die es noch nicht gemerkt haben… ich arbeite gerne. Und ich arbeite viel. Arbeit gehört zum Leben. Aber sie muss kein notwendiges Übel sein, nein, sie darf Spass machen. Und das tut sie bei mir. Meistens. Daher kostest es mich doch tatsächlich jedesmal wieder Überwindung, meine ungestörte effektive Arbeitszeit damit zu verbringen, in meinen Sessel zu hocken, mit Umhängen behängt zu sein und darauf zu warten, das die Einwirkzeiten ablaufen. Nun gestern war es wieder soweit. Da ich mit der Regenbogen- und Klatschpresse nicht so sehr viel anfangen kann und da Gefahr laufe mich zu Tode zu langweilen, was meiner Laune dann auch nicht zuträglich werden kann, schleppe ich immer ein gutes Buch mit zum Termin. Das stellt meinen Kopf ruhig und produziert nebenbei Beiträge für unseren Bücherblog. Auch gestern hatte ich ein Buch dabei. leider kein „Gutes“. „Der Frauenjäger“ von Petra Hammesfahr. Dem Titel nach genau das, was ich gerne lese. Dem Inhalt nach leider nicht. Rezension (wens interessiert) gibts in meinem Bücherregal. Also Buch zur Seite. Und nun? Egos gucken! Wo geht das besser als im Friseursalon. Also habe ich einen längeren Blick auf meine Mit- Opfer riskiert. Der Stuhl direkt neben mir war an eine ältere Dame vermietet worden. Kurzzeitig. Während meiner Einwirkzeit wurden ihre leicht-lila Löckchen ein bisschen in Form geschnitten. Vorher allerdings starrte sich mich minutenlang an, so das ich mich genötigt sah, einen intensiveren Blick in den bodentiefen Spiegel vor mir zu werfen. Nein, kein Popel hing mir aus der Nase, ich sabberte auch nicht. Aber mit den Papierstreifen in den Haaren und der Haarfarbe auf Haut und Ohren- schwarz färbt einfach alles, nicht nur meinen Ansatz- war schon ein Hingucker. Wenn auch nicht der Schönste. Aber was macht man nicht alles… wenn das Ergebnis stimmt. Auf der anderen Seite des Raumes… ein Mann. Geschätzt in meinen Alter. Bereits verhüllt als ich ihn das erste Mal wahrnehme. Auch wenn ich nicht jedes Wort verstehe, verstehe ich, das er ganz genaue Vorstellungen hat, wo jedes Haar wie liegen muss. Geduldig präpariert die Friseurin sein Haupthaar. Bis er schließlich zufrieden ist. Was erwartet man? Hm, ich denke so in Richtung Versicherungsvertreter. Selbstbewusst. Modisch. Jeans und Hemd. Salopp. Ja, salopp wars. Badeshorts mit Palmen und Muschelshirt. Socken und Sandalen. Tada. Mein Blick geht zurück zum Spiegel vor mir. Der Friseurunfall grinste mich an. Neben mir erhebt sich lila – Löckchen, verabschiedet sich mit einem verhaltenem Gruß. Meine Friseurin schickt mich zum Abspülen. Btw… schön gemachte Gel- Nägel gefallen mir! Habe ich selbst ein paar Wochen getragen. Aber das alte Lied…. 2 Stunden um Nägel auf die Nägel…. nichts meins. Meine Friseurin trägt welche. Bevorzugt: auffällig und lang. Behindert nicht. Mich auch erst, als sie beim Waschen über meine Kopfhaut kratzt und sämtliche Entspannung hinweg geschrubbert wird. Kopfmassage ist ja nett, aber sowas treibt mir die Gänsehaut. Das mit der Entspannung und dem Geniessen fällt mir echt schwer. Hier besteht Lernbedarf. Als ich wieder an meinen Platz sitze, wird der Stuhl neben mir neu vergeben. Frau mittleren Alters, mittelerer Figur. Nicht dünn, nicht dick. Bissel Bauch. Wahrscheinlich Überbleibsel der Schwangerschaften. Eben diesen versucht sie gerade zu verstecken. Sich wohl meines Blickes bewusst geworden, zupft sie an ihren Oberteil. Auch nachdem sie schon sitzt. Man kann schon fast sagen: endlich kommt der Umhang. Erlösung. Sie lächelt mich nervös an. Ich lächle zurück. Meine Friseurin zieht mir den Turban vom Kopf und bringt mit der Schere etwas Ordnung in das Chaos. Mein Blick fällt auf den Spiegel. Verfolgt jede Bewegung. In dem Oberteil könnte man denken sie sei schwanger. Ist sie aber nicht. Ich weiß es. Wir kennen uns seit beinahe 10 Jahren. Ich weiß, das sie nur ein paar Wochen jünger ist als ich und das ihre Familienkonstellation aus Ehemann und Kind vor ein paar Jahren überraschend und mit einem Paukenschlag zerbrach. Inzwischen hat sich ihr neues Leben, mit neuer Wohnung, neuem Mann und der nun pubertierenden Tochter stabilisiert. Seit dem Mindestlohn ist der Job allerdings schwieriger. Das leidige (vorhin schon erwähnte) Thema. Mal eben zum Friseur gehen, das war einmal. Nicht jeder kann oder will alle 6 Wochen 60-70 Euro für 2 Stunden Aufmerksamkeit bezahlen. Deswegen sollte es doch egal sein, ob das Oberteil einen Bauch macht, ob die Shorts Palmen haben oder die Locken lila sind. Uns muss es gefallen. Jedem für sich. Wer sich wohlfühlt hat Ausstrahlung. Und Wohlfühlen, das grundsätzliche Zufrieden sein, mit sich selbst und seinem Leben… nur darum sollte es auch gehen! Ich für meinen Fall, ziehe Socken in den Sandalen ekeligen Füßen eindeutig vor. Egal was die Mode diktiert.Zufrieden verlasse ich den Salon. Neu aufgehübscht. Zufrieden mit den Schnitt und vor allem zufrieden mit dem Zeiteinsatz. Manche Momente sind es wert. 🙂